Daniel Kletke: Boxen von Lilly Grote


Die Welt in einer Box. Box = englisch Büchse, Behälter. Die Welt als Box, ja geht das denn? Und wie ginge dies nach dem Boxenmann Joseph Cornell, der mit seinen Boxen scheinbar weiträumig den Begriff der Box als Kunstform des 20. Jahrhunderts für sich belegt hat? Seien wir ehrlich, wenn mensch ein Ölbild malt, dann fragt ja auch niemand, ob nach Rubens noch ein Ölbild hätte gemalt werden können sollen dürfen. Und Lilly Grote baut seit Jahren Boxen. Es sind ihre Boxen und nur ihre ganz allein. Die formale Parallele ist einzig und allein der Umstand, daß ihre Welten in Boxen leben, so, wie die von Joseph Cornell in seinen Boxen lebten und leben.

Mehr Parallele ist auch schon deswegen nicht, weil die Künstlerin Lilly Grote ein gerüttelt Maß an Unabhängigkeit auf die Waagschale legt, in der ihre Kunstuniversen voller Imagination zu wahren Schwergewichten mutieren. Wahre poetische Schwergewichte. Das sind die Kunstwelten und die Scheinräume der Zauberin Lilly Grote. Die Verwendung findenden Materialien stammen hauptsächlich aus dem Alltag. Es sind vielfach Wegwerfobjekte einer Gesellschaft, die viel Sperrmüll produziert. objet trouvé ist der Terminus Technicus derartiger Fundstücke, die wie Treibgut angeschwemmt und von der Finderin behortet werden. So legt sich Lilly Grote ein Utensilienlager, einen Fundus an, aus dem sie ihre simulierten Zaubergärten bepflanzt. Neben Holz und Stoff, Metall und Papier finden sich immer wieder technische Apparate und Aussattungsgegenstände: In fast allen Boxen gibt es künstliche Beleuchtung.

Technik, Beleuchtung, Licht, Strom. (Nota bene: Doctor Faustus lights the light.) Grote entstammt künstlerisch gesehen einem stark filmisch geprägten Milieu, in welchem zwar auch die Kunstakademie firmiert, aber seit Jahrzehnten dominiert die kontinuierliche Filmarbeit. Immer hinter der Bühne. In den Kulissen der Maske der Technik. Nicht das Rampenlicht ist ihr Parfum, sondern die kulinarische Aufbereitung köstlichster Aperçus. Mittels technoider Finessen, eingesetzt wie das subtil verwendetete Gewürz eines Meisterkochs, werden Räume illuminiert und ausgeleuchtete Szenarien vorgeführt, in denen die regieführende Grote für die Tafelnden angerichtet hat. Daß einem das Wasser im Mund zusammenläuft und es nur so knistert kitzelt auf den Geschmacksknospen, denn das dort feilgebotene Menu ist angereichert mit dem besten, was der Zivilisationsmüll im Experimentierbüro Berlin so aufzubieten hat.

Ob nun ein verrosteter Schlüsselbund das Repoussoir zu Abu Simbel bietet und uns in die gestaffelte Kulissenlandschaft Altägyptens entführt oder der im Yves-Klein-Bleu Interieur wandelnde Tiger von Swakop die Szene von rechts nach links durchmisst, Lilly Grote zaubert! Sie zaubert mit Assoziationen und Imitationen, mit Improvisationen und Simulationen. Natürlich ist dieses weit gefächerte Repertoire ein kenntnisreiches. Wer könnte (und wollte?!) im frühen 21. Jahrhundert von sich behaupten, autonom zu sein? Natürlich fliessen bekannte Vorlagen in die sich auch schon mal als Bilderrätsel gerierenden magischen Landschaften ein. Wer aber wollte sich daran nicht freuen, wenn aus dem Fundus der Kunst der Welt der Freuden und des Leids Zitate aufkommen, die in der Poesie dieser Boxen erspürt werden können? Natürlich klopft Magritte an und wird im Titel ebenso benannt wie die Zelluloid Kapitale Los Angeles. Dies alles ist aber jenseits jeden Epigonentums, da es mit der eignen Würze, mit dem individuellen Zugriff und nach den persönlichen Rezepturen der Lilly Grote komponiert ist.

Die Regie ist in jedem Fall auch eine des Lichts. Geschickt bis raffiniert sind hinter über neben den Suffitten Kulissen Staffagen Lichtquellen eingebaut, die die Bühnen beleuchten ausleuchten einleuten. Die hier evozierte Stimmung schafft erst das Fluidum, in welchem groß klein und klein groß wird. Manches Flanieren wird da zu einer Passage in Werke aus Alice und Wunderland. Äußerst wissensreich sind nicht nur die Bausteine in Szene gesetzt und eingetaucht in die erst so passend gemachte Büchse, den Behälter. Es gibt Arbeiten, da wird das Licht selbst zum Titelgeber wie beim Krieger des Lichts.

Immer wieder begegnen sich Extreme, trifft haptisches auf taktiles, weiches auf hartes, textiles auf metallenes, und in diesem Gegeneinander stellt Lilly Grote Fragen an uns an sich stellt Fragen in Frage. Was sagen fragen vermuten wir, wenn ein kleinstes Pappmädchen in bunter Silhouette auf einen nunmehr monumentalisierten Türschloßbeschlag zuschreitet, durch dessen Schlüssellochausstanzungen verschwenderisches Morgenlicht zu dringen scheint? Gewiß ist in den Welten der Lilly Grote manche Untiefe Falle Stromschnelle enthalten, die dann das Material abgeben, aus denen Diskussionen und Diskurse zu allen Themen des Abendlandes abgeleitet werden könnten, jedoch drängeln sich nie Manifeste Thesen Argumente zu einer notorischen Fachdidaktik auf. Dazu sind die Schattierungen des Lichtes, dazu ist die gesamte Regie viel zu poetisch, nicht politisch gesellschaftlich frauenfragend dezidiert motiviert. Und darin liegt auch die Stärke dieser autonomen hermetischen poetischen Boxen der Zauberin. Nein: der Meisterzauberin